Es ist Sonntagmorgen, früh um sieben. "Ich bin wach!", schallt es in einer Lautstärke durchs Haus, als wolle jemand den Frühgottesdienst-Kirchturmglocken Konkurrenz machen. Da Papi zu dieser frühmorgendlichen Stunde noch nicht von null auf vier Sekunden ins Kinderzimmer beschleunigen kann, wird der Druck deutlich erhöht: "Ich! Bin! Wach!".
Spätestens jetzt weiß ich, dass ich innerhalb der nächsten drei Sekunden anzugaloppieren habe, sonst schreit die kleine Generalin noch lauter und der Rest der Familie ist wach. Schlimmer noch: schlecht gelaunt. Wie war das doch gleich in diesem Ohrwurm aus dem Radio? Papi muss nur noch kurz die Welt retten. Sonntag, um 07.00 Uhr!
Im Kinderzimmer erwartet mich ein hellwacher Satansbraten im Alter von vier Jahren, der jetzt etwas erleben will. Entertainment on demand. Aber subito. Ich kann Fräulein Frühaufsteher zu einer Katzenwäsche und sogar zum Zähneputzen animieren. "Zähneputzen ist gar nicht so schlimm", sagt sie und sprotzt dabei blubbernd-weißen Zahnpastaschaum über den walnussbraunen Waschtisch. Ein schöner Kontrast, der meine Frau sicher begeistern wird, wenn ich ihn nicht sofort entferne. Als Vorbild-Papi putze ich selbst natürlich auch meine Zähne, das ist Ehrensache. Nach der gefühlten Putz-Halbzeit drehe ich wie immer schon mal den Wasserhahn auf. Es kommt dicke: "Nicht vorher aufmachen, Wasser ist kostbar!" schlaumeiert mich der Mini-Öko-Aktivist mit schaumigem Mund an. Der Waschtisch ist jetzt wieder weiß gesprenkelt.
Wir gehen runter in die Küche und ich mache die Rollos hoch. "Müsli", gibt sie von ihrem Kinderstuhl, den sie soeben erklommen hat, knapp in Auftrag. Auf dem Stuhl thront sie wie ein übellauniger Hollywood-Regisseur. Von dort aus bekomme ich meine Kommandos: "Die Schokoflocken. Ich mach' die Milch rein!". Die Anweisungen haben etwas von James Bond, wenn er sich einen Martini bestellt - geschüttelt, nicht gerührt. Und wehe, ich rühre ihr Müsli an, das geht gar nicht... In Gedanken höre ich sie schon sagen 'Mein Name ist Bauke. Ra-Bauke'.
Beim Müslilöffeln kommt Fräulein in Plauderlaune. "Ist heute Kindergarten?" fragt sie. Das mit den Wochentagen hat sie einfach noch nicht raus, denn die Frage wird eigentlich immer nach dem Aufwachen gestellt. Nachdem klar ist, dass heute ein "freier Tag" ist, erwartet Madame Vorschläge für das heutige Unterhaltungsprogramm. Meine rechte Gehirnhälfte, die für Kreativität zuständig ist, befindet sich noch im Tiefschlaf.
Plötzlich kommt wie aus dem Nichts wieder so eine Frage, wie sie nur kleine Vierjährige stellen können: "Du, tragen Flamingos eine Unterhose, wenn sie baden gehen?". Die Frage findet meine rechte Gehirnhälfte ziemlich irrwitzig, so dass sie sich zum ersten mal an diesem Morgen räkelt. Ich bringe zunächst nur ein fragendes Gesicht zustande. Sie insistiert: "Tragen Flamingos Unterhosen, wenn sie zum Baden gehen?". Ich bin ratlos. Gibt es eine vernünftige Antwort auf so eine Frage? "Hm, weiß nicht", murmle ich vor mich hin. "Kommt wohl darauf an, ob es heiß ist", höre ich meine rechte Gehirnhälfte sagen. Sie findet den Gedanken offenbar interessant. "Was sagen sie?" Darauf habe ich gewartet. Ihre Lieblingsfrage immer dann, wenn es um irgendwelche skurril-fiktiven Dialoge geht. "Was meinst Du damit?" frage ich, nur um meiner rechten Gehirnhälfte ein wenig Zeit für eine halbwegs vernünftige Antwort herauszuschinden. "Was sagen sie, wenn sie baden gehen?". Ich habe keine Ahnung, wie ich aus dieser Nummer wieder herauskomme. Papi will ja kein Spielverderber à la "Die können doch gar nicht sprechen" sein.
"Die sagen dann 'Also heute ist ein heißer Tag, heute können wir mal ohne Unterhose schwimmen gehen'", versuche ich halbwegs sinnvoll zu antworten. "Papi, in letzter Zeit verstehst Du
mich einfach nicht. Was sagen die dann?" kommt es aufgebracht zurück. Auf irgendetwas möchte der kleine Rabauke hinaus, ich habe nur noch nicht begriffen, auf was. (Tage später sehe
ich zufällig Flamingos im Fernsehen und stelle fest, dass deren Federkleid die obere Beinpartie umspielt - was tatsächlich den Eindruck einer altmodischen rosa Westernunterhose entstehen
lässt!)
Kurze Zeit später sind wir vor der Tür, das Wetter ist ja gut und Madame möchte was erleben. So früh an einem Sonntag ist das einigermaßen schwierig, also hängt sie sich mal an das Gartentürchen
und lungert dort ein wenig herum. Eine Frau, die ihren Hund Gassi führt, läuft vorbei. "Wie heißt der Hund?", fragt sie die Frau, immer noch am Gartentürchen hängend. "Rex" kommt es zurück. Sie
schaut Frauchen und dem großen schwarzen Hund hinterher und ruft: "Schöner Name!". Ein älterer Franzose mit Baskenmütze und Gauloises im Mundwinkel hätte es, gemütlich vor seinem Häuschen
sitzend, vermutlich genauso gemacht. Großes Kino mit einem Schuss Situationskomik, auf dem Land, sonntags um sieben. Was will man mehr?
Später am Tag machen wir eine kleine Radltour. Seit kurzem kann sie Fahrradfahren und das macht sie mächtig stolz. Die dazugehörigen Rituale wie Helm aufsetzen, Fahrradschloss aufsperren und Luft kontrollieren zelebriert sie wie ein Formel-1 Boxentechniker. "Abmarschbereit, Papi?" fragt sie mich und baut schonmal ein wenig Druck auf. Weil mich der kleine Satansbraten so antreibt vergesse ich meinen Helm aufzusetzen. "Papa, ohne Helm, hallo?" Ich staune über die explizite Betonung von 'hallo', die ganz klar als 'sag' mal Papa, geht's noch?' zu verstehen ist. Wie alt ist dieser Zwerg nochmal, frage ich mich?
Wir fahren los. An einem abschüssigen Hang rollt sie an mir vorbei, obwohl ich sie immer ermahne zu bremsen, damit sie nicht zu schnell wird. "Papi, ich bin ohne zu bremsen gefahren! Und weißt Du auch warum? Weil ich keine Angst habe", plappert sie stolz, während sie an mir vorbeizieht. "Du kannst ruhig stolz auf mich sein, wie ich das mache!" Die Begeisterung schlägt Kapriolen: "Weißt Du, was ich mal werden will?", fragt sie rein rhethorisch, um gleich die Antwort zu geben: "Radtourin!".
Später, als wir nach einer kurzen Pause wieder anfahren und ich mich dabei nach ihr umsehe, komme ich mit den Pedalen kurz ins Straucheln. "So eine Bommage", lacht sie mich aus. Einen Sprücheklopfer zuhause zu haben kann anstrengend sein, denke ich mir.
Zuhause angekommen zieht Lord Fahrrad-Helmchen ein Resümee: "Ich finde es herrlich, wenn wir eine Fahrradtour machen. Wir sind ein gutes Team!". Das wiederum entschädigt für alles...
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Vodda (Sonntag, 23 Juni 2013 17:47)
So etwas ist doch ein herrliches Erlebnis,schöner als ein irgend ein event, bei dem ich üblicherweie auch noch blechen muss